Samstag, 3. Mai 2014

Alexander Nikolajewitsch Afanassjew - Die Kaufmannstochter und ihre Dienerin

  
Alexander Nikolajewitsch Afanassjew

Alexander Nikolajewitsch Afanassjew
  
Die Kaufmannstochter und ihre Dienerin.

  
Es lebte einmal ein Kaufmann, der hatte eine wunderschöne Tochter. Mit seinen Waren zog der Kaufmann in verschiedene Länder, einmal aber kaufte sie sogar der Zar und klagte dabei »Ich kann keine Braut für mich finden.«
»Ich habe eine Tochter,« antwortete der Kaufmann, »die ist wunderschön und so klug, daß sie alles errät, was man denkt!«
Da zauderte der Zar keine Stunde, sondern schrieb einen Brief, den gab er seinen Gendarmen: »Geht zur Kaufmannstochter und bringt ihr meinen Brief.« In dem Brief stand: »Komm zur Hochzeit.«
Als die Kaufmannstochter den Brief gelesen hatte, weinte sie bitterlich. Dann aber machten sie und ihre Dienerin sich reisefertig. Niemand konnte sie von der Dienerin unterscheiden, so ähnlich sahen sie einander, sie waren noch dazu gleich gekleidet. So gingen sie zur Hochzeit.
Die Dienerin aber war darüber neidisch und sagte unterwegs: »Gehen wir auf dieser Insel spazieren!«
Auf der Insel schläferte die Dienerin ihre Herrin mit einem Schlafkraut ein, stach ihr beide Augen aus und steckte sie in ihre Tasche. Dann ging sie zu den Gendarmen und sagte: »Meine Herren Gendarmen, meine Dienerin ist ins Meer gefallen.«
»Wenn nur du am Leben bist, das Bauernmädchen brauchen wir gar nicht,« antworteten sie und reisten weiter.
So kamen sie zum Zar und die Hochzeit wurde sofort abgehalten. Die Dienerin war jetzt Zariza, aber der Zar dachte bei sich: »Der Kaufmann hat mich betrogen, das kann seine Tochter nicht sein. Sie ist dumm und kann gar nichts.«
Inzwischen erholte sich die Kaufmannstochter von dem leid, das ihre Dienerin ihr zugefügt hatte, sie sah zwar nichts mehr, aber sie hörte doch und so hörte sie, daß ein alter Mann in der Nähe Vieh hütete. »Alterchen, wo wohnst du?« fragte sie.
»Ich wohne in der Hütte.«
»Nimm mich bei dir auf,« bat sie. Er tat es und sie sagte zu ihm: »Treibe das Vieh auf die Weide und gehe in einen laden, dort kaufe Samt und Seide auf Borg.«
Der Alte ging von Geschäft zu Geschäft, aber in den reichen gab man ihm nichts auf Borg, erst in einem ärmlichen Laden konnte er es erhalten.
»Großväterchen, lege dich schlafen und achte nicht auf mich; mir ist Tag und Nacht einerlei,« sagte sie. Aus Samt und Seide nähte sie eine Zarenkrone, so schön, daß man sich nicht daran satt sehen konnte.
Am Morgen weckte sie den Greis und sprach: »Nimm die Krone, bringe sie dem Zar, verlange nichts dafür als ein Auge, was immer sie mit dir machen werden, fürchte dich nicht.«
So brachte er die Krone zum Hof. Dort bewunderten alle die Krone und begannen darum zu handeln, er verlangte aber ein Auge dafür. Das meldete man dem Zar. Der Zar kam selbst, erfreute sich an der Krone und begann um sie zu handeln, aber der Alte verlangte wieder ein Auge. Der Zar schimpfte und wollte ihn ins Gefängnis sperren. Aber wie der Zar auch drohte, der Alte blieb bei seiner Forderung.
Schließlich befahl der Zar seinen Gendarmen, einem gefangenen Soldaten ein Auge auszureißen. Da lief die Zarin herbei, nahm ein Auge aus ihrer Tasche und gab es dem Zar. Das freute ihn: »Ach, welch großen Dienst erweist du mir da, Zarewnuschka.«
Der Alte nahm das Auge und ging damit nach Hause.
»Großväterchen, hast du mein Auge?« fragte die Blinde.
»Ja,« sagte er.
Sie nahm es, ging in die Dämmerung hinaus, spukte darauf, setzte es ein und sah wieder. Sie sandte den Alten wieder in das Geschäft, gab ihm Geld, befahl die alte Schuld zu bezahlen und bestellte neuerdings Samt und Seide.
Er ging zu dem armen Kaufmann und brachte der Kaufmannstochter Samt und Seide.
Sie nähte eine andere Krone, schickte den Alten wieder zu dem Zar und befahl: »Nimm nichts anderes dafür, verlange nur ein Auge, fragen sie dich, woher du die Krone hast, so sage: Gott gab sie dir!«
Der Alte ging an den Hof, dort bewunderten sie alle, denn wenn die erste auch schön war, die zweite war noch viel schöner. Der Zar sagte: »Was er auch verlangt, ich muß sie kaufen.«
»Gib mir ein Auge,« bat der Alte.
Der Zar befahl einem Gefangenen ein Auge auszureißen, aber seine Frau, die Zariza, nahm das andere Auge aus der Tasche und gab es ihm. Der Zar freute sich sehr: »Ach, welch großen Dienst erweist du mir. Alter, woher nimmst du diese Kronen?«
»Gott gab sie mir,« sagte der Alte und ging davon. Zu Hause gab er der Blinden das Auge. Sie nahm es wieder, ging in der Dämmerung hinaus, spuckte darauf, setzte es ein und sah wieder auf beiden Augen. Nachts schlief sie in der Hütte ein und am Morgen war die Hütte in ein gläsernes Haus verwandelt.
Der Zar fuhr vorbei, sah und bewunderte es. wer konnte nur diesen Palast erbaut haben? Er fuhr in den Hof ein, darüber freute sich die Kaufmannstochter und bewirtete ihn. Er schmauste, lud sie ein, an den Zarenhof zu kommen und fuhr wieder nach Hause. Dort erzählte er seiner Zariza: »Ach, Mütterchen, was war das für ein Haus! Und was für ein Mädchen! was man denkt, errät sie!«
Die Zariza ahnte, wer das war und sagte für sich: »Gewiß ist sie es, der ich die Augen ausriß!«
Der Zar fuhr wieder zu dem Glashaus und das ärgerte die Zariza, aber er lud doch das Mädchen wieder ein, ihn zu besuchen und diese machte sich bereit dazu.
Zu dem Alten sagte sie: »Lebewohl, hier hast du einen Geldkoffer, er ist stets voll, nie wirst du seinen Boden erreichen. Lege dich heute in dem Glashaus schlafen, du wirst morgen in deiner Hütte erwachen. Ich gehe fort und man wird mich erschlagen und in kleine Stücke hacken. Deshalb stehe Frühmorgens auf, mache einen Sarg, sammle die Stückchen und bewahre sie auf.«
Der Alte weinte um sie, aber da kamen schon die Gendarmen und führten sie fort zum Zar auf Besuch. Die Zariza sah sie gar nicht an, wollte sie töten lassen und befahl heimlich den Gendarmen: »Hackt sie in kleine Stücke, nehmt ihr Herz und bringt es mir.« Auf dem Heimwege sprachen die Männer untereinander, die Kaufmannstochter wußte aber schon, was sie wollten und sagte: »Zerhackt mich nur schnell!«
Sie taten es, nahmen ihr Herz heraus und verscharrten sie in der Erde, dann fuhren sie an den Hof zurück. Die Zariza nahm das Herz, legte es in ein Ei und steckte es in ihre Tasche.
Der Alte schlief im Glaspalast ein, erwachte in seiner Hütte und zerfloß in Tränen. Er weinte und weinte, aber er mußte doch tun, was ihm aufgetragen war. Er machte einen Sarg und ging aus, die Kaufmamnstochter zu suchen. Er fand sie auf dem Mist, grub sie aus, sammelte die einzelnen Teile, legte sie in den Sarg und bewahrte sie auf.
Der Zar, der von gar nichts wußte, fuhr aus, um die Kaufmannstochter zu besuchen. Er fand aber das Haus nicht mehr und kein Mädchen; nur dort, wo sie begraben lag, war ein schöner Garten gewachsen. Zu Hause erzählte er der Zariza: »Ich fand kein Haus und kein Mädchen, nur einen Garten!«
Als die Zariza das vernommen, ging sie in den Hof und sagte den Gendarmen: »Geht und zerstört den Garten.«
Sie fuhren hin und wollten ihn zerstören, da ward der Garten zu Stein. Der Zar konnte es nicht ertragen — er mußte den Garten noch einmal sehen. Er kam hin und sah einen Knaben darin herumlaufen, einen wunderschönen Knaben! »Sicherlich gingen hier seine Eltern spazieren und haben ihn verloren.« Er nahm ihn an seinen Hof mit und sagte der Zariza: »Schau, Mütterchen, was ich dir bringe, behandle ihn gut.«
Der Knabe fing aber an zu weinen, daß niemand ihn trösten konnte, er schrie immer weiter. Die Zariza nahm das Ei, in dem das Herz war, aus der Tasche und gab es ihm, da hörte er auf zu schreien und lief durch alle Zimmer.
»Ach, Mütterchen,« sagte der Zar zur Zariza, »wie schnell hast du ihn getröstet.«
Der Knabe lief auf den Hof und der Zar hinter ihm her, vom Hof lief der Anabe auf die Straße, und der Zar ihm nach, übers Feld, bis in den Garten. Da erblickte der Zar das Mädchen und freute sich sehr. Das Mädchen sagte: »Ich bin deine Braut, die Kaufmannstochter, die Zariza aber ist meine Dienerin.«
Sie fuhren zusammen auf den Hof, da fiel die Zariza ihnen zu Füßen und flehte: »Verzeiht mir!«
»Du hast auch mich nicht verschont. Einmal stießest du mir die Augen aus und ein anderesmal zerrissest du mich in kleine Stücke,« sagte die Kaufmannstochter, und der Zar befahl den Gendarmen: »Reißt jetzt der Zariza die Augen aus und jagt sie davon.«
Sie stachen ihre Augen aus, banden sie an ein Pferd und trieben es davon. Der Zar lebte vergnügt und froh mit seiner jungen Zariza. Er liebte sie immer und hüllte sie in Gold.

Gouvernement Tambow.

  
Kaufmannstochter. Variante.

Ein Zar schickte um seine Braut. Sie machte sich auf den weg zu ihm, in Begleitung ihrer alten Kinderfrau und deren Tochter Scheludjiwka. Sie fuhren zwei Tage im Wagen. Am dritten fuhren sie auf einer Brücke über das Meer, da sagte die Alte: »Sieh aus dem Fensterchen, sieh, wie das Meer Wellen schlägt!«
Die Braut steckte den Kopf zum Fenster hinaus und die Kinderfrau stieß sie hinaus. Das schöne Mädchen fiel ins Meer, verwandelte sich in einen goldenen Fisch und schwamm davon.
Der Zar heiratete Scheludjiwka, die ihm in der Gestalt der Braut erschien. Einst schlief er im Bett mit seiner jungen Frau und der Diener saß am Ofen und trocknete des Zaren Strümpfe. Plötzlich ging das Fenster auf, die wahre Braut erschien und trat an das Bett: »Schämst du dich nicht, Zar, neben der Magd Scheludjiwka zu liegen,« sagte sie.
Dem Diener verbrannten die Strümpfe und er weinte.
»Weshalb weinst du?« fragte das Mädchen.
»Wie sollte ich nicht weinen, ich betrachtete deine unsagbare Schönheit und verbrannte dabei die Strümpfe des Zaren.«
»Weine nicht, hier hast du neue!«
Sie gab ihm prächtige Strümpfe und verschwand. Als der Zar diese Strümpfe sah, begann er seinen Diener auszufragen und beschloß zu warten, ob seine Braut wieder komme.

Die Geschichte nimmt einen glücklichen Ausgang.

Aus: Russische Volksmärchen, Gesammelt von Alexander Afanassjew, Deutsch von Anna Meyer, C. W. Stern Verlag, Wien, 1906

Alexander Nikolajewitsch Afanassjew - Die Kaufmannstochter und ihre Dienerin

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