Alexander Nikolajewitsch Afanassjew
Die Kaufmannstochter
und ihre Dienerin.
Es
lebte einmal ein Kaufmann, der hatte eine wunderschöne Tochter. Mit seinen Waren
zog der Kaufmann in verschiedene Länder, einmal aber kaufte sie sogar der Zar
und klagte dabei »Ich kann keine Braut für mich finden.«
»Ich habe eine Tochter,« antwortete der
Kaufmann, »die ist wunderschön und so klug, daß sie alles errät, was man denkt!«
Da zauderte der Zar keine Stunde, sondern
schrieb einen Brief, den gab er seinen Gendarmen: »Geht zur Kaufmannstochter
und bringt ihr meinen Brief.« In dem Brief stand: »Komm zur Hochzeit.«
Als die Kaufmannstochter den Brief gelesen
hatte, weinte sie bitterlich. Dann aber machten sie und ihre Dienerin sich
reisefertig. Niemand konnte sie von der Dienerin unterscheiden, so ähnlich
sahen sie einander, sie waren noch dazu gleich gekleidet. So gingen sie zur
Hochzeit.
Die Dienerin aber war darüber neidisch und sagte
unterwegs: »Gehen wir auf dieser Insel spazieren!«
Auf der Insel schläferte die Dienerin ihre
Herrin mit einem Schlafkraut ein, stach ihr beide Augen aus und steckte sie in
ihre Tasche. Dann ging sie zu den Gendarmen und sagte: »Meine Herren Gendarmen,
meine Dienerin ist ins Meer gefallen.«
»Wenn nur du am Leben bist, das Bauernmädchen
brauchen wir gar nicht,« antworteten sie und reisten weiter.
So kamen sie zum Zar und die Hochzeit wurde
sofort abgehalten. Die Dienerin war jetzt Zariza, aber der Zar dachte bei sich:
»Der Kaufmann hat mich betrogen, das kann seine Tochter nicht sein. Sie ist
dumm und kann gar nichts.«
Inzwischen erholte sich die Kaufmannstochter
von dem leid, das ihre Dienerin ihr zugefügt hatte, sie sah zwar nichts mehr,
aber sie hörte doch und so hörte sie, daß ein alter Mann in der Nähe Vieh
hütete. »Alterchen, wo wohnst du?« fragte sie.
»Ich wohne in der Hütte.«
»Nimm mich bei dir auf,« bat sie. Er tat es
und sie sagte zu ihm: »Treibe das Vieh auf die Weide und gehe in einen laden,
dort kaufe Samt und Seide auf Borg.«
Der Alte ging von Geschäft zu Geschäft, aber
in den reichen gab man ihm nichts auf Borg, erst in einem ärmlichen Laden
konnte er es erhalten.
»Großväterchen, lege dich schlafen und achte
nicht auf mich; mir ist Tag und Nacht einerlei,« sagte sie. Aus Samt und Seide
nähte sie eine Zarenkrone, so schön, daß man sich nicht daran satt sehen
konnte.
Am Morgen weckte sie den Greis und sprach: »Nimm
die Krone, bringe sie dem Zar, verlange nichts dafür als ein Auge, was immer
sie mit dir machen werden, fürchte dich nicht.«
So brachte er die Krone zum Hof. Dort bewunderten
alle die Krone und begannen darum zu handeln, er verlangte aber ein Auge dafür.
Das meldete man dem Zar. Der Zar kam selbst, erfreute sich an der Krone und
begann um sie zu handeln, aber der Alte verlangte wieder ein Auge. Der Zar
schimpfte und wollte ihn ins Gefängnis sperren. Aber wie der Zar auch drohte,
der Alte blieb bei seiner Forderung.
Schließlich befahl der Zar seinen Gendarmen, einem gefangenen Soldaten ein
Auge auszureißen. Da lief die Zarin herbei, nahm ein Auge aus ihrer Tasche und
gab es dem Zar. Das freute ihn: »Ach, welch großen Dienst erweist du mir da,
Zarewnuschka.«
Der Alte nahm das Auge und ging damit nach
Hause.
»Großväterchen, hast du mein Auge?« fragte
die Blinde.
»Ja,« sagte er.
Sie nahm es, ging in die Dämmerung hinaus,
spukte darauf, setzte es ein und sah wieder. Sie sandte den Alten wieder in das
Geschäft, gab ihm Geld, befahl die alte Schuld zu bezahlen und bestellte
neuerdings Samt und Seide.
Er ging zu dem armen Kaufmann und brachte der
Kaufmannstochter Samt und Seide.
Sie nähte eine andere Krone, schickte den
Alten wieder zu dem Zar und befahl: »Nimm nichts anderes dafür, verlange nur
ein Auge, fragen sie dich, woher du die Krone hast, so sage: Gott gab sie dir!«
Der Alte ging an den Hof, dort bewunderten
sie alle, denn wenn die erste auch schön war, die zweite war noch viel schöner.
Der Zar sagte: »Was er auch verlangt, ich muß sie kaufen.«
»Gib mir ein Auge,« bat der Alte.
Der Zar befahl einem Gefangenen ein Auge
auszureißen, aber seine Frau, die Zariza, nahm das andere Auge aus der Tasche
und gab es ihm. Der Zar freute sich sehr: »Ach, welch großen Dienst erweist du
mir. Alter, woher nimmst du diese Kronen?«
»Gott gab sie mir,« sagte der Alte und ging
davon. Zu Hause gab er der Blinden das Auge. Sie nahm es wieder, ging in der
Dämmerung hinaus, spuckte darauf, setzte es ein und sah wieder auf beiden
Augen. Nachts schlief sie in der Hütte ein und am Morgen war die Hütte in ein
gläsernes Haus verwandelt.
Der Zar fuhr vorbei, sah und bewunderte es.
wer konnte nur diesen Palast erbaut haben? Er fuhr in den Hof ein, darüber
freute sich die Kaufmannstochter und bewirtete ihn. Er schmauste, lud sie ein,
an den Zarenhof zu kommen und fuhr wieder nach Hause. Dort erzählte er seiner
Zariza: »Ach, Mütterchen, was war das für ein Haus! Und was für ein Mädchen! was
man denkt, errät sie!«
Die Zariza ahnte, wer das war und sagte für
sich: »Gewiß ist sie es, der ich die Augen ausriß!«
Der Zar fuhr wieder zu dem Glashaus und das
ärgerte die Zariza, aber er lud doch das Mädchen wieder ein, ihn zu besuchen
und diese machte sich bereit dazu.
Zu dem Alten sagte sie: »Lebewohl, hier hast
du einen Geldkoffer, er ist stets voll, nie wirst du seinen Boden erreichen. Lege
dich heute in dem Glashaus schlafen, du wirst morgen in deiner Hütte erwachen.
Ich gehe fort und man wird mich erschlagen und in kleine Stücke hacken. Deshalb
stehe Frühmorgens auf, mache einen Sarg, sammle die Stückchen und bewahre sie
auf.«
Der Alte weinte um sie, aber da kamen schon
die Gendarmen und führten sie fort zum Zar auf Besuch. Die Zariza sah sie gar
nicht an, wollte sie töten lassen und befahl heimlich den Gendarmen: »Hackt sie
in kleine Stücke, nehmt ihr Herz und bringt es mir.« Auf dem Heimwege sprachen
die Männer untereinander, die Kaufmannstochter wußte aber schon, was sie
wollten und sagte: »Zerhackt mich nur schnell!«
Sie taten es, nahmen ihr Herz heraus und
verscharrten sie in der Erde, dann fuhren sie an den Hof zurück. Die Zariza
nahm das Herz, legte es in ein Ei und steckte es in ihre Tasche.
Der Alte schlief im Glaspalast ein, erwachte
in seiner Hütte und zerfloß in Tränen. Er weinte und weinte, aber er mußte doch
tun, was ihm aufgetragen war. Er machte einen Sarg und ging aus, die Kaufmamnstochter
zu suchen. Er fand sie auf dem Mist, grub sie aus, sammelte die einzelnen
Teile, legte sie in den Sarg und bewahrte sie auf.
Der Zar, der von gar nichts wußte, fuhr aus,
um die Kaufmannstochter zu besuchen. Er fand aber das Haus nicht mehr und kein
Mädchen; nur dort, wo sie begraben lag, war ein schöner Garten gewachsen. Zu
Hause erzählte er der Zariza: »Ich fand kein Haus und kein Mädchen, nur einen
Garten!«
Als die Zariza das vernommen, ging sie in den
Hof und sagte den Gendarmen: »Geht und zerstört den Garten.«
Sie fuhren hin und wollten ihn zerstören, da
ward der Garten zu Stein. Der Zar konnte es nicht ertragen — er mußte den
Garten noch einmal sehen. Er kam hin und sah einen Knaben darin herumlaufen,
einen wunderschönen Knaben! »Sicherlich gingen hier seine Eltern spazieren und
haben ihn verloren.« Er nahm ihn an seinen Hof mit und sagte der Zariza: »Schau,
Mütterchen, was ich dir bringe, behandle ihn gut.«
Der Knabe fing aber an zu weinen, daß niemand
ihn trösten konnte, er schrie immer weiter. Die Zariza nahm das Ei, in dem das
Herz war, aus der Tasche und gab es ihm, da hörte er auf zu schreien und lief
durch alle Zimmer.
»Ach, Mütterchen,« sagte der Zar zur Zariza, »wie
schnell hast du ihn getröstet.«
Der Knabe lief auf den Hof und der Zar hinter
ihm her, vom Hof lief der Anabe auf die Straße, und der Zar ihm nach, übers
Feld, bis in den Garten. Da erblickte der Zar das Mädchen und freute sich sehr.
Das Mädchen sagte: »Ich bin deine Braut, die Kaufmannstochter, die Zariza aber
ist meine Dienerin.«
Sie fuhren zusammen auf den Hof, da fiel die
Zariza ihnen zu Füßen und flehte: »Verzeiht mir!«
»Du hast auch mich nicht verschont. Einmal
stießest du mir die Augen aus und ein anderesmal zerrissest du mich in kleine
Stücke,« sagte die Kaufmannstochter, und der Zar befahl den Gendarmen: »Reißt
jetzt der Zariza die Augen aus und jagt sie davon.«
Sie stachen ihre Augen aus, banden sie an ein
Pferd und trieben es davon. Der Zar lebte vergnügt und froh mit seiner jungen
Zariza. Er liebte sie immer und hüllte sie in Gold.
Gouvernement Tambow.
Kaufmannstochter.
Variante.
Ein
Zar schickte um seine Braut. Sie machte sich auf den weg zu ihm, in Begleitung
ihrer alten Kinderfrau und deren Tochter Scheludjiwka. Sie fuhren zwei Tage im Wagen.
Am dritten fuhren sie auf einer Brücke über das Meer, da sagte die Alte: »Sieh
aus dem Fensterchen, sieh, wie das Meer Wellen schlägt!«
Die Braut steckte den Kopf zum Fenster hinaus
und die Kinderfrau stieß sie hinaus. Das schöne Mädchen fiel ins Meer,
verwandelte sich in einen goldenen Fisch und schwamm davon.
Der Zar heiratete Scheludjiwka, die ihm in
der Gestalt der Braut erschien. Einst schlief er im Bett mit seiner jungen Frau
und der Diener saß am Ofen und trocknete des Zaren Strümpfe. Plötzlich ging das
Fenster auf, die wahre Braut erschien und trat an das Bett: »Schämst du dich
nicht, Zar, neben der Magd Scheludjiwka zu liegen,« sagte sie.
Dem Diener verbrannten die Strümpfe und er
weinte.
»Weshalb weinst du?« fragte das Mädchen.
»Wie sollte ich nicht weinen, ich betrachtete
deine unsagbare Schönheit und verbrannte dabei die Strümpfe des Zaren.«
»Weine nicht, hier hast du neue!«
Sie gab ihm prächtige Strümpfe und verschwand.
Als der Zar diese Strümpfe sah, begann er seinen Diener auszufragen und beschloß
zu warten, ob seine Braut wieder komme.
Die Geschichte nimmt einen glücklichen
Ausgang.
Aus: Russische Volksmärchen, Gesammelt von Alexander Afanassjew, Deutsch von Anna Meyer, C. W. Stern Verlag, Wien, 1906